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Akadelypse – Umbrüche im akademischen Publikationsbetrieb

Acadelypse NowWer sich mit den Strukturen in der Welt der Forschung und des akademischen Publizierens beschäftigt, der begegnet einem Wort unangenehm oft: „kaputt“. Tatsächlich scheint einiges aus den Fugen geraten zu sein: Forschende müssen ihre Ellenbogen einsetzen, um an Budgets und Positionen zu kommen. Profitorientierte Verlage streichen Gewinne ein, die letztlich von der öffentlichen Hand berappt werden. Ein Peer Reivew kann Monate dauern und die Flut an schlechten Papers, Konferenzen und Journals macht es schwierig, den Überblick zu behalten. Die schwierige Situation resultiert, weil gleich mehrere Eckpfeiler der Forschung außer Balance gekommen sind, die Störfelder verstärken sich gegenseitig. Verschiedene Neuerungen tun also Not. Die Problemfelder voneinander zu trennen und einzeln anzugehen ist schwierig. Die gute Nachricht? Tatsächlich sind Änderungen im Gang und neue Modelle in der Testphase!

Der Impact Factor

Kritik: Diese Kennzahl ist ein Dorn im Auge vieler Akademiker, denn sie ist etwa gleichermaßen verbreitet wie verhasst. Ihre Aussagekraft für einzelne Artikel ist beschränkt.

Vorteil: Die Leistungen von Akademikern lassen sich quantifizieren, ohne dass ihre Arbeit wirklich gelesen werden muss.

Alternative: Raffiniertere Kennzahlen wie der Eigenfactor beheben einige methodische Probleme, gehen aber nicht die zugrundeliegende Problematik an.

Open Access Ansatz: Downloadzahlen individueller Papers könnten den Impact Factor ergänzen.

Konkurrenz um Slots in prestigeträchtigen Journals

Kritik: Themen mit breitem Publikum finden Anklang; Artikel, die an den Grundfesten einer Disziplin rütteln werden nicht immer gern gesehen.

Vorteil: Die Leserschaft eines hochwertigen Titels spart Zeit und kann sich einer gewissen Mindestqualität sicher sein.

Alternative: Vermehrt machen sich kleinere Journals mit sehr spezifischem Fokus und einer engeren Leserschaft einen Namen.

Open Access Ansatz: Wird jedes Paper veröffentlicht, so kann jede Idee ein Publikum finden. Vorteilhaft wäre auch, dass Artikel mit „verworfener Hypothese“ vermehrt den Schritt in die Öffentlichkeit finden könnten.

Unfaire Profite für kommerzielle Verlagshäuser

Kritik: Akademische Verlage verkaufen Leistungen, die sie nicht finanziert haben und privatisieren die resultierenden Gewinne.

Vorteil: Das Schema, wonach vielzitierte Journals aus einem großen Pool von angebotenen Artikeln die Rosinen picken können und dafür vom Leser hohe Preise verlangen, erspart der Leserschaft die Zeit, die nötig wäre, um sich aus dem gesamten Artikeluniversum selbst eine Leseliste zusammenzustellen.

Alternative: Nicht-profitorientierte Verlage, zum Beispiel von Fachgesellschaften getragene, konkurrieren bereits heute mit den Größen der Industrie.

Open Access Ansatz: Papers werden für den Leser kostenlos zur Verfügung gestellt.

Schlechtes oder langsames Peer Review

Kritik: Unbezahlte Peer Reivew Aufgaben überfordern die Reviewer, der Prozess wird von einigen Journals nicht seriös betrieben; der Ablauf ist schwerfällig und zeitaufwändig.

Vorteil: Die Qualität, Authentizität und Verlässlichkeit eines Papers sollte nach dem Peer Review garantiert sein.

Alternative: Ein Gedankenexperiment (das aber nicht nur auf Gegenliebe stößt) schlägt vor, Reviewer für ihre Dienste zu bezahlen, damit sie sich genügend Zeit dafür nehmen können.

Open Access Ansatz: Post Publication Review ist ein Ansatz, bei dem alle Leser zu Reviewern werden, indem sie Kommentare hinterlassen können, die eine Überarbeitung des Artikels nach sich ziehen können.

Hohe Publikationskosten durch physische Journals

Kritik: Der Druckvorgang ist kosten- und zeitaufwändig.

Vorteil: Gedruckte Journals gehen nach wie vor mit einem gewissen Prestige einher. Zudem entspricht das physische Produkt den Vorlieben einiger Leser.

Alternative: Auch „klassische“ Verlage können zur Onlinepublikation wechseln, ohne ihr Geschäftsmodell anderweitig zu verändern.

Open Access Ansatz: Open Access Titel sind weitgehend Onlinepublikationen ohne Druckerpressen.

Die großen Probleme des Publikations- und Forschungsbetriebes werden nicht isoliert gelöst werden können. Für fast alle Problembereiche stehen momentan verschiedene neue Ansätze zur Debatte. Ob sich die Open Access Idee in allen Bereichen mit wehenden Fahnen durchsetzen wird, darf bezweifelt werden. Offensichtlich scheint aber, dass die klassischen akademischen Verlage sich auf grobe Umwälzungen gefasst machen müssen. Um diese zu überstehen, werden sie eigene Alternativen anbieten müssen. Entwicklungen in den verschiedenen Themenkreisen bedeuten, dass sich die traditionsreiche Branche momentan stark bewegt. Es wir spannend sein zu sehen, welche Richtung die Publikationslandschaft letztlich einschlägt.

Geheime Journalpreise ermöglichen Verlagen Abzockerei

Journal abzockeIn Expatgemeinschaften an Orten, wo nicht alle gewohnten Güter im Supermarkt zur Verfügung stehen, ist es üblich, dass sich jene, die vom Heimaturlaub zurückkehren, ihre Koffer mit den vermissten Produkten füllen. Was nicht schon an Freunde versprochen wurde, wird dann verkauft, meist über Gruppen in sozialen Netzwerken und mit dem Vermerk „Preis auf Anfrage“. Wieso laden sich die Verkäufer den zusätzlichen Aufwand auf, dutzende Mails mit Preisanfragen zu beantworten, statt die Information öffentlich zu machen? Natürlich geht es um die Steigerung der Marge, denn aus den Onlineprofilen lässt sich eine gute Schätzung von Kaufkraft und Zahlungsbereitschaft der Interessenten ableiten. Was in der Wirtschaftstheorie „Preisdiskriminierung“ genannt wird, ist ein altbewährtes Mittel, um höhere Profite zu erzielen. Nach exakt diesem Modell funktionieren auch die Preispläne von kommerziellen akademischen Verlagshäusern.

Kein fairer Preis für Journals

Drei Elemente sind in diesem Business vorhanden, die verhindern, dass es zu einer echten Konkurrenzsituation kommt und damit die Preise auf ein faires Niveau gedrückt würden: Einerseits streichen die Verlagshäuser Erträge ein, müssen aber nicht für den Forschungsaufwand aufkommen, der hinter den Artikeln steht. Dieser wird von den Instituten und Labors über Forschungsgelder bestritten. Zweitens sind Papers nicht einfach austauschbar: Bahnbrechende Erkenntnisse von gewichtigen Forschern müssen den Berufskollegen zur Verfügung stehen, damit diese darauf aufbauen können. Besonders die Artikel am oberen Ende der Prestigeskala (und damit die Journals mit Peer Review, die sie veröffentlichen) bilden eine Art Minimonopol. Als ob diese beiden Punkte noch nicht reichen würden, um einen ordentlichen Profit zu machen, haben sich die großen Verlagshäuser zusätzlich auf den dritten Punkt spezialisiert: Preisdifferenzierung.

Abzockerei durch Geheimhaltung

Wie bei der privaten Nachricht im sozialen Netzwerk ist die Diskriminierung nur möglich, weil eine Universitätsbibliothek nicht erfährt, was die andere für dasselbe Journalpackage bezahlt. Auch Universitäten rechtfertigen ihre Studiengebühren mit hohem Prestige. Eine hochklassige Forschungsuni kann es sich schlicht nicht leisten, den Studierenden und Forschenden ein wichtiges Journal aus Kostengründen nicht zur Verfügung zu stellen. Ihre Preisbereitschaft ist sehr hoch. Verlage wollen diese Bereitschaft in hohe Rechnungsbeträge ummünzen und sich dennoch die Freiheit bewahren, bei weniger exklusiven Einrichtungen die Preise niedrig genug anzusetzen, um einen weiteren Verkauf abschließen zu können. Dies macht die Geheimhaltungsklauseln nötig, welche Kunden verbieten, abgelieferte Beträge öffentlich zu machen. Solche Bestimmungen sind bei den gewichtigen Verlagen üblich. Im Gegensatz zum Fall des Nostalgieprodukts aus dem Koffer des Facebook-Kontaktes geht es hier jedoch um Millionenbeträge, die jährlich fällig werden. Neben dem Abschöpfen der Preisbereitschaft erlaubt die Geheimnistuerei den Verlagen auch, das beschränkte Verhandlungsgeschick einiger Kunden knallhart auszunutzen, was sich in der Summe in Margen niederschlägt, die durchaus 30% überschreiten.

Die Daten endlich ans Licht gebracht

Dankenswerterweise hat eine Gruppe von Autoren kürzlich eine legale Handhabe gefunden, um die Geheimhaltungsklauseln außer Kraft zu setzen. So konnten sie Daten aus 350 amerikanischen Verträgen sammeln und die bezahlten Preise pro Zitat errechnen. Die Erkenntnisse in ihrer Publikation bestätigen, was schon lange vermutet wurde:

  • Profitorientierte Verlage verlangen höhere Preise, als nicht-profitorientierte.
  • Universitäten, die viel Forschung betreiben und folglich eine hohe Zahlungsbereitschaft haben, bezahlen im Vergleich zu Einrichtungen, die eher auf die Ausbildung konzentriert sind, über doppelt so hohe Preise pro Artikel derselben Qualität.
  • Einige Bibliotheken konnten für dasselbe Journalbündel jährliche Preissteigerungen von 1% aushandeln, während sich andere mit 5% einverstanden zeigten.

Einige „marktfeindliche“ Elemente erwachsen aus der Natur der Forschung, die weder ein rein kommerzielles Gut ist, noch sein sollte. Wie der Publikationsbetrieb organisiert werden soll, um dieser Tatsache zu begegnen, ist strittig. Open Access kann einige Probleme lösen, birgt ab auch Nachteile. Die Diskussion um Geheimhaltungsklauseln ist aber nicht Bestandteil von diesem Problemkreis. Hier werden nicht Vor- und Nachteile abgewogen. Die Geheimniskrämerei dient einzig dazu, Preise in die Höhe zu treiben. Sie beschert Verlagen hohe Profite und schadet dem Zugang zu Forschungserkenntnissen. Die Gesetzgebung kann und sollte so angepasst werden, dass Kosten für Journals vom Kunden veröffentlicht werden dürfen.

Reihenfolge der Autoren: Wer darf zuerst?

Reihenfolge AutorenSeinen Namen auf der Titelseite eines publizierten Papers zu lesen ist nicht nur schmeichelhaft, sondern hat bekanntermaßen konkrete Auswirkungen auf die Türen, die sich einem Autor öffnen. Längst ist im akademischen Kontext „Autor sein“ nicht mehr an das Verfassen eines Artikels gebunden. Wer ein Projekt anreißt oder entwirft, ein Experiment organisiert oder durchführt, Daten sammelt oder analysiert ist oft nicht dieselbe Person, welche die finale Schreibarbeit leistet. So wird die Liste der Autoren immer länger, denn auch wer nur unterstützend mitgewirkt hat, möchte genannt werden. Seinen Lebenslauf um eine Publikation zu erweitern ist zwar weiterhin von großer Bedeutung, eine Nennung als Autor ist jedoch mit weniger Lorbeeren verbunden, wenn die halbe Fakultät auf dem Titelblatt genannt ist. Umso wichtiger wird die Reihenfolge, in welcher Autoren aufgelistet werden, denn so kann sich die treibende Kraft hinter einem Artikel vom akademischen Hilfsarbeiter abheben – vielleicht. Das Thema ist nämlich ebenso kontrovers wie die internen Diskussionen bisweilen bitter sind. Obwohl sich noch keine universellen Richtlinien herauskristallisiert haben, kann eine „falsche“ Reihenfolge bei Entdeckung als Fehlverhalten interpretiert werden. Massig Spielraum für Konflikte, Intrigen und Dramen. Die folgende Liste gibt eine Übersicht über die widersprüchlichen Konventionen in den verschiedenen Fachrichtungen.

Mathematik, Wirtschaftswissenschaften, Physik:

Hier ist die Handhabe unkompliziert und klar: Endlich kommen die Albrechts und Bauers, die in der Schule immer als erste vortragen mussten, zu einer späten Genugtuung, denn Autoren werden in diesen Disziplinen überwiegend in alphabetischer Reihenfolge genannt.

Biologie und Medizin:

In den anwendungsorientierten Fachbereichen ist die Regelung etwas ambivalenter, aber gut etabliert: Der ersten und letzten Position kommt eine besondere Bedeutung zu: Der Laborleiter wird zuletzt aufgeführt. Dies ist die Person, welche die Gesamtübersicht über die Forschungsarbeit haben sollte, welche meist als korrespondierender Autor fungiert und welche üblicherweise für den Forschungskredit gerade steht. Die erste Nennung steht jener Person zu, welche die bedeutendste Leistung erbracht hat. Was die Reihenfolge „der Mittleren“ bestimmt, ist weniger klar definiert. Die Regelung mag zwar nicht alle Unklarheiten beseitigen, aber immerhin ist sie so gebräuchlich, dass diese – etwas humoristische – Untersuchung sich auf die Anwendung der Richtlinie verlassen konnte: Sie geht der Frage nach, ob eine Konferenz sich eher an theoretische oder anwendungsorientierte Forschende im Bereich IT wendet, indem sie untersucht, ob die Autoren der eingereichten Papers alphabetisch geordnet sind (was auf einen Hintergrund in einem Theorie-basierten Fach hindeutet) oder nicht (was auf anwendungsorientierte Forschung schlissen lässt). Der Autor der Studie musste sich übrigens auf keinerlei Diskussionen einlassen: Er ist mit dem Namen Appel, A.W. nicht nur alphabetisch im Vorteil, sondern er ist in diesem Fall auch der alleinige Urheber.

Sozialwissenschaften:

Der Einzelautor ist hier nicht so selten geworden wie in anderen Feldern, und vielleicht liegt darin der Grund, dass sich in diesem Fachbereich noch keine klare Richtlinie herausbilden konnte.

Solange Publikationen die Triebfeder der Forschung bleiben, darf nicht damit gerechnet werden, dass die Diskussionen um Autorschaft und Reihenfolge der Nennung in den Labors und Institutsbüros demnächst wesentlich entspannter geführt werden. Einige Institute haben eigene Richtlinien formuliert, und die Anzahl der Journals nimmt zu, welche zu jedem Autor ein kurzes Statement verlangen, um den jeweiligen Beitrag zu beschreiben. Bis dies zur universellen Praxis wird, oder bis die Ausnahmen zu den fachspezifischen Richtlinien abnehmen, bleibt die Reihenfolge der Autoren aber eine Kombination aus Streitthema und Rätselraten.

Eine Hand zitiert die andere

Citation MafiaDass Redaktoren mehr als nur einen verstohlenen Blick für den Impact Factor ihres Journals übrig haben, ist bekannt. Kaum ein Titel, der ohne konkrete Strategie auskommt, um die eigene Publikation im Ranking nach oben zu rücken. Die gewählten Methoden reichen vom begrüßenswerten Streben nach echten Qualitätsverbesserungen, über reine Marketingmaßnahmen, hin zu Auswahlverfahren, die populäre Artikel gehaltvollen vorziehen. Am untersten Ende der Skala finden sich leider auch Mittel, die mehr als nur ein abschätziges Stirnrunzeln verdienen: Es kommt vor, dass Redaktoren Autoren dazu nötigen, frühere Ausgaben des Ziel-Journals zu zitieren.

Leider keine Seltenheit

„Schwarze Schafe”, denken Sie? „Gibt es doch in jeder Industrie! Sind bestimmt die Raubtierjournals, die nur aufs schnelle Geld aus sind.” Weit gefehlt, die Realität ist düsterer. Eine vielbeachtete Umfrage aus dem Jahr 2012 hat ans Licht gebracht, dass einer von fünf Autoren aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaften und Psychologie schon mit der Praxis der erzwungenen Zitate konfrontiert worden ist. Für einige Journals kursieren gar konkrete Zahlen für die Mindestmenge solcher sogenannter Selbstzitate, welche die Redaktion sehen möchte. Schockierend auch, mit wie wenig Furcht vor Entdeckung die Redaktoren an ihrem Netzwerk von Selbstzitaten spinnen, respektive spinnen lassen: Die ungerechtfertigte Aufforderung, zusätzliche Zitate einzubauen oder andernfalls mit einem ablehnenden Publikationsentscheid rechnen zu müssen, wird nicht selten völlig offen mittels einer schnöden E-Mail an den potentiellen Autoren herangetragen.

Laut der genannten Umfrage wären die Hälfte der befragten Forschenden laut eigener Aussage widerwillig bereit, erzwungene Zitate in ihre Artikel aufzunehmen, wenn dadurch die Publikation möglich wird. Neun von zehn Wissenschaftlern zweifeln an der Integrität Ihrer Kollegen und gehen davon aus, dass diese solchen Forderungen nachkommen würden.

Gegenmaßnahmen

Die Folgen sind klar: Die Zeit der Leser wird verschwendet, die Qualität der Artikel nimmt ab und der Impact Factor lädt sich ein weiteres Imageproblem auf den Buckel. Zeichen einer plötzlichen Wiederentdeckung der Ethik sind auf Redaktionsstuben und in Forschungslabors momentan leider nicht auszumachen. Dennoch gibt es eine bestechend simple Lösung, die der schmutzigen Praxis ohne großen Aufwand einen Riegel vorschieben könnte: Analysen und Studien, welche den Impact Factor verwenden, greifen oft zur Maßnahme, Selbstzitate „herauszurechnen“. Thomson Reuters, dem Herausgeber des Impact Factors, stehen die nötigen Daten für eine solche Übung zur Verfügung. Was spricht also dagegen, Selbstzitate generell zu ignorieren und damit die schlechten Anreize aus dem System zu entfernen? Die Herren über den Impact Factor haben sich für einen Mittelweg entschieden: Sie berechnen den Impact Factor für jedes Journal mit und ohne Selbstzitate und schließen die schlimmsten Missetäter komplett aus dem Ranking aus; so wird es beispielsweise vom Indian Journal of Physics gehandhabt. Dieses bringt es immerhin auf 83% Zitate aus dem eigenen Heft. Diese Lösung wirkt auf den ersten Blick sinnvoll, immerhin gibt es legitime Gründe für Selbstzitate, haben doch Artikel mit ähnlichem Fokus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, im selben Journal unterzukommen. In der Praxis scheint das Vorgehen jedoch angesichts der Umfragewerte eher zahnlos zu bleiben. Strengere Richtlinien für Selbstzitate oder gleich auf die Linie von DORA einschwenken und den Impact Factor gar nicht mehr beachten: Die eine oder andere Form von Unterstützung könnte die bröckelnde Forschungsethik auf jeden Fall gebrauchen.

Cited Half-Life: Was lange währt wird endlich gut

Beim Cited Half-Life-Wert handelt es sich mehr oder weniger um das Haltbarkeitsdatum akademischer Arbeiten. Ein hoher Wert bedeutet, dass Artikel auch lange nach ihrer Veröffentlichung noch konsultiert und zitiert werden.

Die Details der Berechnung

Die bewertete Einheit bildet behalflifeim aggregierten Cited Half-Life-Wert gleich eine ganze Fachrichtung. Beim Cited Half-Life-Wert selbst stellt (wie beim Impact Factor) das Journal und nicht etwa ein einzelner Artikel die Grundmenge dar, die untersucht wird. Zur Berechnung der Halbwertszeit werden alle Papers herangezogen, die im letzten Jahr in Journals publiziert wurden und im Web of Science indexiert sind. Die Zitate, die in diesen Artikeln vorkommen, werden jenen Journals zugeordnet, auf welche sie verweisen. Es wird also eine Liste gebildet von allen Zitaten, die ein Journal im letzten Jahr auslösen konnte, egal ob es aktuelle oder längst archivierte Ausgaben des Titels waren, die Beachtung fanden. Die Liste enthält für jedes Zitat auch die Angabe darüber, auf welchen konkreten Artikel des Journals sie sich beziehen, und in welchem Jahr dieser erschienen ist. Anschließend wird unter Verwendung des Medians das „durchschnittliche“ Erscheinungsjahr berechnet..

Würden beispielsweise Autoren, die im Jahr 2014 Artikel in irgendeinem Journal veröffentlichen konnten, nur die 2013er Ausgaben von Journal A zitieren, während sie frühere Ausgaben von Journal A komplett verschmähen, so käme der Cited Half-Life-Wert von Journal A auf 1 zu liegen. Werden hingegen im Jahr 2014 oft Artikel zitiert, die in Journal B während den 90er Jahren erschienen sind, so hätte Journal B einen hohen Cited Half-Life-Wert.

Diese Kennzahl ist nicht zu verwechseln mit dem Citing Half-Life-Wert, welcher umgekehrt misst, ob sich Journal C eher auf alte oder auf sehr aktuelle Papers bezieht.

Die Interpretation

Eine lange Halbwertszeit geht meist mit knallenden Champagnerkorken einher. Die akademische Welt hält sich eher streng an das Mantra „Neuer ist besser“, beinhaltet es doch das Konzept vom schrittweisen Fortschritt, welches der Forschung zugrunde liegt. Wird ein Artikel auch nach Jahren noch oft zitiert, so handelt es sich offensichtlich um eine Grundsatzarbeit, deren revolutionärer Inhalt die mangelnde Aktualität wettmacht. Solchen Lesestoff will selbstverständlich jeder Verlag durch seine Pressen jagen. Der Cited Half-Life-Wert erlaubt jedoch auf keinen Fall Vergleiche zwischen Journals über verschiedene Fachgebiete hinweg. Während sich etwa im Pharmabereich die Ereignisse überschlagen und Studien schnell veralten, bleiben beispielsweise im Ingenieurwesen neue Erkenntnisse deutlich länger relevant.

Sinnvolle Ergänzung zum Impact Factor

Interessanterweise hat diese Untersuchung in verschiedenen Fachrichtungen einen negativen Zusammenhang zwischen Impact Factor und Cited Half-Life festgestellt. Dies deutet darauf hin, dass die Binsenweisheit, wonach Artikel, die oft zitiert werden, gute Artikel sind, nur die halbe Wahrheit ist. Wenn „Kassenschlager“ schneller in Vergessenheit geraten oder rasch von neueren Untersuchungen überlagert werden, so gibt die anfängliche Euphorie tatsächlich nicht die wahre Bedeutung des Artikels wieder. Entsprechend bildet der Cited Half-Life-Wert eine sinnvolle Ergänzung zum Impact Factor, welcher nur jenen Zitaten Beachtung schenkt, die innerhalb von zwei Jahren erscheinen. Frei von den bekannten Problemen ist diese ergänzende Kennzahl jedoch nicht: Am schwersten wiegt wohl, dass sich auch sie nur bedingt für die Evaluation eines bestimmten Artikels eignet. Ein Blick auf die Halbwertszeit lohnt sich dennoch etwa für jene, die die Stunden optimieren wollen, die sie investieren, um „auf dem Laufenden zu bleiben“. Speziell junge Forscher können Cited Half-Life-Werte als Richtlinie verwenden, während sie ihre Lesegewohnheiten noch formen.