Aus der Katgorie: Open Access

Wie viel sollte ein Autor für die Publikation seines Artikels bezahlen?

Forschungsresultreal cost of scientific publishingate zu erzielen kostet Schweiß und Tränen, sie an den Mann zu bringen kostet harte Euros. Wenn Journals Kostendeckung und Profit durch Verkaufsgebühren erzielen, dann befinden sich Käufer in einer schwachen Verhandlungsposition. Bibliotheken haben den Auftrag, die wichtigste Forschung zugänglich zu machen und haben daher bei der Kaufentscheidung wenig Freiheit. Hinzu kommt die Bündelung von Titeln, die es oft unmöglich macht, auf einzelne Journals zu verzichten. Entsprechende Vertragsklauseln verbieten es Käufern üblicherweise, Einkaufspreise publik zu machen. In diesem intransparenten und wenig offenen Markt sind die Grenzen der Preissetzung erst da erreicht, wo Verlage Boykotte und koordinierte Aktionen gegen sich provozieren. Beim Open Access Konzept hat der Autor hingegen die Möglichkeit, die Publikationsgebühr und die Leistung (in Form von Prestige, Impact Factor oder Breite und Qualität der Leserschaft) gegeneinander abzuwägen. Wie viel sollte also ein Autor bezahlen? Auf wie viele Euro pro Artikel kommt man mit der Formel „Kosten plus ein Bisschen“?

Bei einem Journal gehen zahlreiche Artikel ein. Die Redaktion muss Zeit aufwenden, um eine Auswahl zu treffen, auf Plagiate zu prüfen und anschließend den Review Prozess zu organisieren. Die kostenlos erstellten Gutachten und Kommentare müssen durchgegangen und Änderungen mit dem Autor koordiniert werden. Dieser Prozess verursacht bei klassischen Journals etwa 40% der Kosten, bei schlanker strukturierten Open Access Onlinejournals sind es 60%. Hinzu kommen Aufwände für Layout, je nach Format für Druck, Serverplatz (oder beides), Archivierung, Administration, Verkauf und Marketing. Was kostet das pro veröffentlichten Artikel? Laut einer informellen Umfrage liegt die Antwort irgendwo zwischen 250 Euro im Fall von Ubiquity Press und 35.000 Euro bei Nature.

Nein, kein Druckfehler. Laut eigenen Aussagen arbeiten einige Titel tatsächlich 140 mal günstiger, als andere.

Angesichts der Geheimniskrämerei von profitorientierten akademischen Verlagen und den folglich spärlichen Informationen über ihre Kostenstrukturen wollen wir uns einige Kostenindikatoren ansehen:

  • Die Max-Planck-Gesellschaft bestreitet mit einem jährlichen Budget von 1,5 Milliarden Euro ihre gesamten Aktivitäten (nicht nur die reine Forschung) und bringt im selben Zeitraum über 15.000 publizierte Artikel hervor. Dies ergibt eine Obergrenze von 100.000 Euro Durchschnittskosten pro Artikel. Können und sollen die Auslagen für die Publikation tatsächlich einen Drittel des Forschungsbudgets betragen?
  • Bei 12 Artikeln pro Ausgabe entstehen der Nature Publishing Group Kosten von 420.000 Euro. Die teuerste Art von nichtakademischen Magazinen, nämlich jene, die auf investigativen Journalismus konzentriert sind, kosten in der Herstellung etwa 850.000 Euro pro Ausgabe. Ein weiterer Zeitschriftentypus kann Inhalte günstiger (jedoch nicht kostenlos) einkaufen: Kommunikationsmittel von NGOs. Publikationen dieser Kategorie übernehmen ähnliche Aufgaben wie akademische Zeitschriften: Koordination, Layout, Druck und Administration. Bei einem mit Nature vergleichbaren Seitenumfang und Hochglanzauftritt beträgt das Budget hier etwa 250.000 Euro. Angesichts ihrer Aufgaben scheinen sich die Topjournals auf dieser Kostenskala nicht sehr günstig zu positionieren.
  • arXiv.org vertritt ein alternatives Review Modell, bei dem nicht von einer Redaktion ernannte Personen, sondern die Leser selbst die Rolle der Kritiker und Kommentatoren übernehmen. Einen Artikel ohne vorheriges, formales Review hier zu veröffentlichen, verursacht Kosten von etwa 5 Euro pro Artikel.
  • Viele Open Access Titel haben neben den Veröffentlichungsgebühren noch andere Einnahmequellen, einige erheben vom Autor keinen finanziellen Beitrag. Ihre Preise können deshalb nur als untere Grenze für die wahren Kosten dienen. Dennoch: Die teuersten Open Access Journals verlangen Gebühren von ca. 3.500 Euro pro Artikel. Von fünfstelligen Beträgen ist bislang nichts bekannt!

Elitejournals rechtfertigen höhere Kosten und höhere Verkaufspreise mit mehr Artikeln, die erst nach dem Peer Review abgelehnt werden. Dadurch wird das Journal teurer, gleichzeitig steigt aber die Qualität und die Exklusivität. Hinzu kommen einige Zusatzleistungen wie Kommentare, News oder andere Rubriken in den Heften, sowie die Premiumqualität von Layout und Druck. Ob hinter den hohen Kosten aber wirklich primär zusätzliche Leistungen stehen, bleibt fragwürdig. Exorbitante Margen und ineffiziente Abläufe scheinen wahrscheinlichere Preistreiber. Ebenso bleibt fragwürdig, ob die Zusatzleistungen überhaupt gefragt sind. Im Mindesten lässt sich sagen, dass Open Access Journals mit niedrigen Gebühren nicht zwingend schlechtere Journals sind. Autoren, die bereit sind, sich den Bedingungen von Open Access zu stellen, seien angehalten, sich sehr genau zu überlegen, welche Angebote in der schönen neuen Journalwelt das bieten, was sie wirklich suchen und brauchen. Und was es kostet.

Die Zukunft akademischer Monographien

scholarly-monographsHarmonisch ist die Beziehung zwischen Wissenschaft und Profit nur selten und akademische Monographien stecken gerade besonders tief in der Beziehungskrise. Der Forschungsaufwand und der Kreis potentiell interessierter Leser steht eben nicht im gleichen Verhältnis wie beim letzten Stieg Larsson Knaller, und zwar nicht erst seit gestern. Auch nicht erst, seit das Internet die Welt des akademischen Publizierens auf den Kopf gestellt hat. Im 18. Jahrhundert mussten Wissenschaftler Verlage bisweilen mit handfesten Deals ködern: Oft waren 50 Verträge nötig, in denen Berufskollegen, Freunde oder Gönner garantierten, das gedruckte Buch zu kaufen, bevor die Presse angeworfen wurde. Der Aufstieg der Wissensgesellschaft hat Monographien zwischenzeitlich zum profitablen Produkt werden lassen, in den 1980ern konnten Verlage allein von Seiten der Bibliotheken mit einer Nachfrage von 2’000 Stück pro Titel rechnen.

Mehr Output

Die Konkurrenz um die Gunst des Lesers nimmt weiterhin zu. Im Bereich der Literaturwissenschaften beispielsweise nimmt die Anzahl an Publikationen dreimal schneller zu, als die Anzahl an Professuren. Mehr Akademiker, die mehr Material produzieren, ein gutes Zeichen für die Wissenschaft. Die Krux liegt in folgender Frage: Für wie viele und welche Leser? Der Markt für Monographien ist eingebrochen. Bibliotheksbudgets schrumpfen und werden immer öfter für Journals aufgewendet. Nicht mehr 50% der Budgets stehen für Bücher zur Verfügung wie in den 70er Jahren, sondern 15%.

Wer wird’s lesen?

Nach Jahren der Forschung und Recherche freut sich der angehende Professor sicherlich darauf, sein eigenes Buch in Händen halten zu können, ebenso aber auf viele Zitate und auf den ultimativen Karriereschub. Nun, bei mittlerweile durchschnittlich noch 200 Exemplaren, die sein Verlag an Universitätsbibliotheken absetzten kann, und einer noch geringeren Stückzahl, die von Privatleuten oder anderen Institutionen erworben wird, sind seine Aussichten deutlich trüber als vor zwei Jahrzehnten. Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit höher, auf Subventionen angewiesen zu sein.

Wenn die Erfolgsgeschichte der Journals tatsächlich wesentlich am Niedergang der Monographien beteiligt ist, dann lässt sich vielleicht deren Entwicklung kopieren. Nichts wird diesbezüglich heißer diskutiert als den Open Access Ansatz auch auf Monographien anzuwenden und elektronische Publikationsformen zu testen. Dieser Ansatz basiert aber auf der Annahme, dass die Leserschaft momentan von erschwertem Zugang und hohen Preisen abgeschreckt wird, nicht von der Textform. Die Vorteile von Journalartikeln gegenüber Büchern sollten jedoch nicht von der Hand gewiesen werden: sie sind verdichteter, flexibler, schnell verfügbar, aktueller, stärker ins Forschungsfeld eingebunden und interaktiver.

Die Bedürfnisse der Leserschaft bedenken

Die Rettung der Monographie hängt von zwei Entwicklungen ab. Einerseits können Bücher der veränderten akademischen Leserschaft angepasst werden. Eine verstärkte Strukturierung in Kapitel und Unterkapitel, optimierte, schnellere Prozesse in den Verlagen und die Such- und Verweisoptionen des digitalen Formates sind Beispiele dafür.

Andererseits steht dem akademischen Buch eine Diskussion noch bevor, die bezüglich Journals schon längst angebrochen ist: Wie wichtig sollten Publikationen und Prestige für die Karriere sein? Ist es optimal, wenn in allen Feldern der Geisteswissenschaften die Veröffentlichung eines Buches implizit vorausgesetzt wird, um sich für wichtige Beförderungen ins Spiel zu bringen? Der Schritt vom Buch zum Artikel könnte unter bestimmten Voraussetzungen und in einigen Fächern angemessen sein, in anderen überwiegen nach wie vor die Vorteile der Tiefe und Breite einer Monographie. Um Anpassungen da zu erlauben, wo sie sinnvoll sind, müssten sich aber über Jahrhunderte geformte Erwartungshaltungen langsam aufweichen. In Deutschland ist der Einbezug von Drittmitteln besonders häufig. Ideale Voraussetzungen, um Aufwand und akademischen Ertrag zum Thema zu machen! Zudem liegt hierzulande der Fokus stärker auf dem Erkenntnisgewinn als auf kommerziellem Erfolg. Um so wichtiger ist es, eine Diskussion um die Bedürfnisse des Lesers in Gang zu bringen, wenn die Arbeit von Jahren nicht allein im Lob der eigenen Familie beim Weihnachtsessen kumulieren soll.

Das älteste Verlagshaus der Welt lanciert ein neues Open Access Journal

royal-society-open-scienceDie Royal Society steht kurz vor dem 350. Jubiläum ihrer ersten Publikation und darf sich somit als ältester noch existierender akademischer Verlag bezeichnen. Fast zeitgleich mit dem Jubiläum wagt das Haus den Sprung in die Zukunft: Die Royal Society lanciert einen weiteren Open Access Titel, welcher Forschern naturwissenschaftlicher Disziplinen offen stehen wird. In der entsprechenden Pressemitteilung spricht der Verlag verschiedene Schwächen des klassischen Publikationsmodells an und erklärt, wie diesen mit dem neuen Titel „Royal Society Open Science“ entgegengewirkt wird.

  • Der vordringlichste Punkt betrifft die teils fragwürdigen Kriterien, die ein Artikel erfüllen muss, um in einem Topjournal veröffentlicht zu werden (auch Publikationen der Royal Society selbst sind gemeint). Hierfür muss die Forschung ein aktuelles und viel diskutiertes Thema behandeln und möglichst spektakuläre Resultate liefern. Es gibt aber auch wichtige Arbeiten abseits des Scheinwerferlichts. Oftmals offenbart sich die wahre Brisanz erst nach einiger Zeit, die Arbeit ist nur in einer kleinen Nische relevant, oder die Redaktoren verkennen schlicht die Wichtigkeit des Themas. Auch negative Resultate, bei denen die Forschungsthese nicht bestätigt wird, beinhalten mitunter interessante Erkenntnisse und wertvolle Daten. Schließlich gibt es Themen, die sich nicht auf die übliche Seitenzahl reduzieren lassen. Solche Artikel lassen sich im klassischen Publikationsbetrieb nur schwer vermarkten. Sie unveröffentlicht zu lassen, beraubt die akademische Gemeinschaft aber der enthaltenen Informationen. Die neu geschaffene Plattform kreiert deshalb einen offeneren, weniger exklusiven und zugänglicheren Raum.
  • Auch wenn der Verlag diesen Punkt nicht explizit erwähnt: Experimente im Bereich Open Access sind willkommen. Die Leserschaft kostenlos mit Inhalten zu bedienen, ist ein interessantes und wichtiges Ziel. Ein universales, optimales Geschäftsmodell konnte sich hierfür noch nicht herauskristallisieren und es existiert womöglich auch nicht. Erfahrungen damit zu sammeln, wie sich das neue Journal auf die übrige Produktpalette des Verlags auswirkt, kann möglicherweise einen Beitrag zur Klärung leisten.

Open Access schließt im Fall Royal Society Open Science auch in Arbeiten verwendete Daten ein. Diese stehen für weiterführende Forschung oder für die Replikation von Resultaten zur Verfügung.

  • Effizienz ist in mehr als einer Hinsicht Trumpf: Nicht nur, dass das Onlineformat die Druckkosten einspart, sondern es kommt auch ein sogenanntes Cascading Peer Review zum Einsatz. Dies betrifft Artikel, die ursprünglich für andere Journals der Royal Society Familie eingereicht wurden, die den Qualitätsansprüchen genügen, die jedoch nicht exakt ins jeweilige Programm passen. Beispielsweise aus oben genannten Gründen. Im Normalfall werden solche Artikel nach einem mehrmonatigen Prozess abgelehnt, worauf die Autoren versuchen werden, sie bei einem besser geeigneten Titel zu platzieren. Dort wird das Peer Review von anderen Experten durchgeführt und beginnt folglich bei Null. Neu können betreffende Artikel an Royal Society Open Science weitergegeben werden, die Doppelspurigkeit beim Review entfällt.
  • Die Plattform regt zu einer neuen Form des Reviews an, bei welcher Kollegen und Leser Kommentare zu publizierten Artikeln abgeben können, welche gegebenenfalls zu einer Revision führen. In Anbetracht der Kritik, die das Peer Review System momentan erfährt, ist dies eine interessante Entwicklung. Dass ein solch bedeutendes Verlagshaus die Idee als Ergänzung zum klassischen Peer Review aufgreift, wird ebenfalls zu neuen Einsichten über diese Variation des Publizierens führen.

Auch bei der American Association for the Advancement of Science, dem Herausgeber des Journals Science, steht die Lancierung eines Open Access Titels bevor. Das neue Journal wird Science Advances heißen. Ob und in welcher Form Open Access den akademischen Forschungsbetrieb als Ganzes beeinflussen wird, bleibt abzuwartem. In der Zwischenzeit darf sich die akademische Gemeinde auf einfachere, zugängliche und vor allem auf mehr Inhalte freuen.

Wie die prestigeträchtigsten Journals der Wissenschaft schaden

over-promoting-researchDas Spektrum von Publikationsmodellen, die akademische Fachzeitschriften nutzen, ist breit. Am untersten Ende finden sich die raubtierhaften Journals und die sogenannte „vanity press“. Diese höchst unseriösen Journals verlangen vom Autor eine Publikationsgebühr und drucken fast ohne Qualitätskontrolle praktisch jeden eingereichten Artikel. Im Open Access Bereich gibt es aber andererseits auch geachtete und seriöse Titel. Einige davon finanzieren sich ebenfalls über Autorengebühren, manche haben andere Einnahmequellen erschlossen. Teilweise erscheinen diese Journals in gedruckter Form, meist nur online. Klassischerweise finanzieren sich Wissenschaftsverlage aber über Abonnentengebühren, die in der Realität überwiegend von Universitätsbibliotheken bezahlt werden. Obwohl die Arbeit der Bibliothekare und die beschränkten Budgets eine gewisse Qualität garantieren, so finden sich doch auch in dieser Kategorie immer wieder dubiose Titel, deren Peer Review Prozess den Namen nicht verdient. Eine Gefahr für die Wissenschaft wittert man unabhängig vom Finanzierungsmodell sofort am unteren Ende der Hackordnung.

Mit Hochglanz voraus!

Tatsächlich haben aber auch die prestigeträchtigen Top-Journals mit ihren Hochglanzcovern zu einer Verzerrung geführt, die dem Forschungsbetrieb nicht dienlich ist. Titel und Verlage wie Nature, Science und Cell stehen momentan besonders im Kreuzfeuer der Kritik. Die Pflege des Impact Factors (also die Anzahl Zitate, mit denen Autoren rechnen dürfen) erfordert eine breite Leserschaft. Das disziplinenübergreifende Publikum interessiert sich aber bisweilen eher für Gesprächsstoff für die nächste Cocktailparty als für Grundlagenforschung in einem relativ fremden Fach. Neben der ungesunden Fokussierung darauf, die Bedeutung eines Journals numerisch darzustellen, ist auch ein übermäßig breites Themengebiet problematisch – die Kombination von beidem führt auf einen besonders glitschigen Pfad.

Ein weiterer Faktor ist das Platzproblem. In einer wissensbasierten Gesellschaft steigt der Forschungsoutput von Jahr zu Jahr. Die bedeutendsten drei Journals können aber per Definition bloß drei Stück sein. Und deren Seitenzahl steigt nicht. Was also passiert mit dem zunehmenden Reservoir an Forschungsresultaten, die den Schnitt nicht geschafft haben? Natürlich kann die Leserschaft die Zeit nicht unbegrenzt erhöhen, die sie darauf verwendet, um auf dem Laufenden zu bleiben. Doch mehr Publikationen mit verifizierter Qualität würden die Gelegenheit bieten, den Fokus enger zu setzen und so in der eigenen Nische schneller voranzukommen. Online Publikationen machen es möglich, ohne großen Druckaufwand mehr Artikel zu veröffentlichen. Sie gefährden damit aber ihre eigene Exklusivität. Gut für die Wissenschaft, schlecht für den Verlag.

Dazu kommt, dass sich das System selbst verfestigt. Am leichtesten lässt sich vorhersagen, ob es ein Artikel in eine Top-Zeitschrift schafft, indem man den Autor fragt, ob er schon einmal in der American Economic Review, im Journal of Political Economy oder im Journal of American History veröffentlicht hat (ja, das „Phänomen Hochglanz“ gibt es auch außerhalb der Naturwissenschaften, auch wenn sich die Diskussion dort gerade am heftigsten zuspitzt). Wer mehr oder minder zufällig zu Beginn seiner Forscherkarriere die Gelegenheit hat, mit einem einschlägigen Autor zusammenzuarbeiten, der steigert seine Chancen auf eigene Publikationen enorm. Mit allen Konsequenzen in Bezug auf Beförderungen und Forschungsbudgets.

Reißerisch und dennoch gefährlich konservativ

Trotz ihrem Hang zu reißerischen, kontroversen Themen kann es schwierig sein, wirklich bahnbrechende Artikel in Luxusjournals platziert zu bekommen. Eine Studie konnte belegen, dass Mäuse grundlegend anders auf bestimmte Medikamente reagieren als Menschen. Selbst auf solche, für die Tests an Mäusen vorgeschrieben sind. Verständlicherweise wollte sich das Autorenteam damit an eine möglichst breite Leserschaft wenden. Sowohl Science als auch Nature kamen zum Schluss, dass die Erkenntnisse der Studie nachvollziehbar und korrekt seien. Und lehnten den Artikel dennoch ab, der doch solch offensichtliche Relevanz für weite Teile der Pharmaforschung hat. Da beide Verlage eine Stellungnahme ablehnen, kann über ihre Gründe nur spekuliert werden. Ob schlicht ein konservativer Grundgedanke verhindert, dass am Fundament gerüttelt werden darf – an den elementarsten, etablierten Annahmen, auf denen zahlreiche zuvor publizierte Artikel aufbauen?

Wann muss ein Artikel korrigiert oder widerrufen werden?

widerruf-vertragEinen guten Umgang mit Korrekturen und Widerrufen von publizierten, peer reviewten Artikeln zu finden, ist ein heikles Thema. Nehmen wir an, ein Autor entdeckt im Zuge seiner weiteren Forschung, dass in einem früheren Artikel Unstimmigkeiten vorhanden sind, vielleicht sogar Fehler. Seine Optionen bestehen nun einerseits darin, das Journal zu kontaktieren und alles offenzulegen. Alternativ kann er versuchen, die Neuerkenntnisse unter den Tisch zu kehren. Letzteres ist für das Voranbringen der Wissenschaft zweifellos schädlich, aber andererseits steht immerhin der Ruf des Forschenden auf dem Spiel. Bei einem Widerruf ist nur schon die verkürzte Liste von eigenen Publikationen eine Abschreckung, ganz zu schweigen vom Reputationsverlust. Die Nahaufnahme eines solchen inneren Konflikts gibt es hier zu lesen, sicherlich kann jeder Forschende die Problematik nachfühlen. Siegt das Engelchen letztlich über das Teufelchen, so liegt der Ball bei der Redaktion des betreffenden Journals, die sich ähnlich problematischen Anreizen ausgesetzt sieht: Eine zu hohe Quote von Widerrufen wirft ein schlechtes Licht auf die Seriosität des Titels und lässt Zweifel an der Qualität der gewählten Peer Reviewer aufkommen.

Licht ins Dunkel!

Durch diese widersprüchlichen Ziele kommt es immer wieder zu abstrakt und knapp formulierten Korrekturen, sowie zu undurchsichtigen Begründungen von Widerrufen, die zudem nicht an prominenter Stelle veröffentlicht werden. Die zusätzliche Vernetzung aber, für die das Internet in der akademischen Gemeinschaft gesorgt hat, ist bestens dazu geeignet, solchen Mauscheleien entgegenzuwirken. Verschiedene Onlineplattformen stehen zur Verfügung, auf denen die Leserschaft eines Artikels diesen kommentieren kann. Die Hemmschwelle, mit den Autoren in Kontakt zu treten, sinkt. Selbstverständlich geht es auch darum, potentielle Probleme mit dem Inhalt ansprechen zu können. Die Begriffe „post-publication peer review“ oder „open review“ sind für diesen Vorgang im Umlauf. Beispiele solcher Plattformen sind PubPeer und Science Fraud. Dass beide die Anonymität vorziehen, spricht Bände.

Im Fall von Science Fraud ist dies jedoch nicht gelungen, im Zuge von angedrohten Verleumdungsklagen musste der Urheber die Website vom Netz nehmen und seine Identität preisgeben. Keine Rede davon, dass Forschung in ihrem Innersten von Diskurs, von Verifizierung und Falsifizierung lebt! Die Ereignisse um die genannte Plattform haben jedoch zu einer Art von natürlichem Experiment geführt, welches bereits veröffentlicht werden konnte. Bei knapp 500 Artikeln aus dem Bereich Naturwissenschaften waren Daten angezweifelt oder das Vorgehen kritisiert worden. In etwa der Hälfte dieser Fälle wurden die entsprechenden Journals kontaktiert und die Kritikpunkte zusätzlich im Science Fraud Blog veröffentlicht. Bei der anderen Hälfte kam es nur zum „privaten“ Kontakt mit der Redaktion. Die Reaktionen? 62 % der betroffenen Forschungsteams, die ihre Namen im Blog lesen mussten, reagierten mit Korrekturen oder Widerrufen. Selbiges traf auf nur 27 % der Teams zu, die nicht dem öffentlichen Druck ausgesetzt waren.

Wie weiter?

Die Anzahl an Widerrufen steigt, und nicht nur durch das höhere Volumen von Publikationen. Tatsächlich ist ein höherer Prozentsatz der veröffentlichten Artikel von Problemen betroffen. Wo die Ursachen liegen und entsprechend nach Lösungen gesucht werden kann, ist . Der Peer Review Prozess sei schlicht am Anschlag, die nötigen Zeitressourcen für eine seriöse Prüfung fehlten ebenso, wie die Motivation, so eine These. Außerdem steht die Open Access Bewegung im Verdacht, zu höherem Volumen und tieferen Qualitätsstandards zu führen. Ob „post-publication peer review“ einen echten Lösungsansatz bieten kann, wird sich erst noch zeigen müssen. Dass PubMed mit PubMed Commons diesen Ansatz aufgreift, ist sicher ein ermunterndes Signal. Die Entdeckung eines Allheilmittels kann allerdings noch nicht verkündet werden. Eine genaue Inspizierung der Anreize und des Selbstverständnisses in der akademischen Forschung ist alles andere als überflüssig geworden.