Aus ökonomischer Sicht sind wissenschaftliche Publikationen aus verschiedenen Gründen ein höchst exotisches Konstrukt. Einige würden sagen: ein kaputtes. Ungerechtfertigte Gebühren, fehlender Zugang, mangelnde Effizienz, Hang zum Reißerischen, fehlerhafte Artikel, sinnloser Druck: Die Kritik ist nicht mehr überhörbar. Verschiedene Lösungsansätze haben bereits einiges in Bewegung gebracht. Ob sich diese gegenseitig beflügeln können, um ein komplett neues System zu schaffen?
Profit für alle?
Im klassischen Vertriebsmodell für Journals wird der größere Teil der Aufwände (Forschung, Peer Review) von der öffentlichen Hand oder anderen Trägern übernommen. Die Anschaffungskosten für Journals bestreitet weitgehend ebenfalls die öffentliche Hand, in Form von Universitätsbibliotheken. Diese sind verpflichtet, die wichtigsten Arbeiten zugänglich zu machen und sehen sich daher mit einer monopolähnlichen Situation konfrontiert. Einige Verlagshäuser spielen diese Marktmacht voll aus. Elsevier, einer der gewichtigeren Namen, vermeldete im Jahr 2010 Profite von 3.2 Milliarden USD, Gebührenerhöhungen und die Bündelung von Titeln. Proteste und Boykotte folgten. Daneben existieren von jeher Journals, die von nicht profitorientierten Trägern herausgegeben werden, welche das öffentliche Gut vor den finanziellen Profit stellen. Von Instituten und Verbänden zu Gelehrtengesellschaften und motivierten Individuen gibt es verschiedene Organisationen, die sich hier engagieren.
Wer bezahlt?
Egal ob Verlage von den den nächsten Quartalszahlen oder von bahnbrechenden Erkenntnissen träumen: das öffentliche Gut „wissenschaftlicher Fortschritt“ hinter einer Paywall zu verstecken, wirkt erst einmal bizarr. Wissenschaft benötigt das Fundament des bereits etablierten Wissens ebenso, wie den Diskurs konkurrierender Thesen. Je mehr Leute von Inhalten ausgeschlossen werden, desto weniger funktioniert dies. Natürlich verursacht jede Art der Publikation gewisse Kosten. Im Open Access Ansatz werden diese unter anderem durch Gebühren gedeckt, die beim Autor statt beim Leser erhoben werden. Damit wir die Verbreitung aus der gleichen Quelle finanziert, wie die Forschung selbst.
Mehr Leistung für weniger Geld: Das Internet ist da.
Kosten können aber nicht nur umverteilt, sondern auch gemindert werden. „Online only“ lautet hier das Zauberwort, schließlich ist das Internet dafür geschaffen, Inhalte günstiger und effizienter zu verteilen. Dabei kann nicht nur die selbe Leistung mit weniger Geldmitteln erbracht werden, sondern es steigt auch die Anzahl veröffentlichter Artikel: Einerseits sind mehr Journals im Umlauf, andererseits müssen einzelne Titel ihre Seitenzahl nicht länger strikt begrenzen. In einer Welt von langfristig zunehmenden Forschungsbudgets machen zunehmende Veröffentlichungen Sinn.
Von Einheitsmeinungen und der Unmöglichkeit, alles zu quantifizieren
Der Impact Factor ist ein problematisches Maß, jedenfalls in seiner momentanen Verwendungsform. Es ist schlicht zu viel verlangt, die Leistung und Zukunftsaussichten eines Akademikers in einer Nummer auszudrücken. Schlimmer noch, der obsessive Glaube an diese eine Kennzahl führt zu ungünstigen Anreizen. Einen möglichen Lösungsansatz bringt Nobelpreisträger Randy Scheckman ins Spiel, indem er vorschlägt, High Impact Journals schlicht zu ignorieren.
Veröffentlichung oder Leben!
Keine Forscherkarriere erblüht ohne genügend Publikationen. Ein weiterer Nobelpreisträger, Peter Higgs, behauptet, dass er im heutigen akademischen Klima keine Anstellung in der Forschung gefunden hätte. Und falls doch, so hätte er zwischen all den Artikeln, die er hätte schreiben müssen, nicht die Ruhe gefunden, die für seine bahnbrechenden Erkenntnisse nötig war. Diese Kultur zu verändern, wird ohne eine Umstellung in den Köpfen von Entscheidungsträgern nicht möglich sein. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es aber sicherlich, den Veröffentlichungsprozess weniger aufwändig zu gestalten. Eine komplette Runde durch den Peer Review Zyklus dauert Monate, oft sind zusätzlichen Experimente und Änderungen am Manuskript nötig. Nicht immer ist diese Zeit sinnvoll investiert.
Peer Review: Wie lang noch, bis das System bricht?
Die Anzahl von Widerrufen und Korrekturen veröffentlichter Artikel steigt, sei es, weil Forschung schluderig ausgeführt und Inhalte fehlerhaft sind, oder weil Artikel betrügerische Elemente enthalten. Beides müsste optimalerweise beim Peer Review entdeckt werden. Eine steigende Anzahl Publikationen bedeutet aber auch zunehmenden Reviewaufwand. Diese Tätigkeit frisst sich je länger je mehr ins Zeitbudget von Akademikern; die Urteile werden nach längeren Zeitperioden abgegeben und sind zunehmend von mangelnder Tiefe. Ein innovativer Ansatz ist das post-publication Review, welches Lektüre und Qualitätskontrolle kombiniert, allerdings wenig strukturiert abläuft: Ein Artikel wird ohne formales Review veröffentlicht, woraufhin Forscher, die in der selben Nische tätig sind, die Möglichkeit haben, den Artikel zu kommentieren. Gegebenenfalls kann die Arbeit daraufhin vom Autor überarbeitet und neu veröffentlicht werden. Dieser offene, transparente Prozess entspricht sehr stark der diskursgetriebenen Natur der Forschung. Er kommt zudem ohne Einsatz eines Zensors aus, welcher gewisse Themen fördert, andere ignoriert.
Diese neuen Formen befinden sich teilweise noch in den Kinderschuhen. Was aber, wenn sie sich bewähren? Können wir damit rechnen, dass erfolgreiche Wissenschaftler ihre Arbeiten bald nicht mehr nach dem heutigen Publikationsmodell veröffentlichen? Werden nicht profitorientierte, open access Onlineplattformen mit post-publication Review schon bald das Diktat der Hochglanztitel ablösen?