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Wissenschaftliche Texte lesen und verstehen: Tipps für Laien

Scary PaperAb und zu kommt es auch außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs dazu, dass man einen akademischen Artikel lesen möchte. Etwa um zu erfahren, was die Nichte an der Konferenz präsentieren wird, zu der sie demnächst reist. Vielleicht möchte man sich einen eigenen Eindruck vom Stand der Klimadiskussion machen, oder es war schon immer eine Faszination für städtische Verkehrsplanung da. Als Laie kann das Fachchinesisch und der nicht eben leserfreundliche Aufbau eines Papers zwar abschreckend wirken, wer sich an die folgenden Tipps hält (und etwas Sitzleder mitbringt), kann aber garantiert der Argumentation eines wissenschaftlichen Textes folgen!

  • Material finden: Wenn sie keinen Zugang zur Bibliothek einer Universität oder Forschungsinstitution haben, stehen ihnen nicht alle Papers zur Verfügung. Viele Journals machen jedoch nach Ablauf einer gewissen Frist ihre Artikel öffentlich, einige stellen ihr Material von Anfang an kostenlos zur Verfügung. Nutzen Sie die Suchmaschine Google Scholar für Ihre Stichwortsuche. Suchergebnisse, die für Sie zugänglich sind, erkennen Sie am Link in der rechten Kolonne. Dieser führt direkt zum entsprechenden Text.
  • Journal bewerten: Weder für Journals noch für Forschungsinstitute gibt es eine internationale Qualitätssicherung. Leider ist daher vieles, was wissenschaftlich aussieht, das Papier (oder den Platz auf dem Bildschirm) nicht wert, auf dem es gedruckt ist – und schon gar nicht Ihre Zeit! Verschaffen Sie sich also erst einen Überblick über die Seriosität des Hefts, in welchem der Artikel erschienen ist und die Institution, zu welcher die Autoren gehören! Für ersteres gibt es mehrere Rankings, etwa den „Article Influence Score“ (AI). Diesen können Sie hier nachschlagen (Kolonne ganz rechts, ein hoher Wert deutet auf ein gutes Journal hin).
  • Reihenfolge: Wissenschaftliche Artikel sind immer gleich aufgebaut: Das Abstract fasst den Artikel auf weniger als einer Seite zusammen. Die Einführung erklärt die genaue Fragestellung, der sich der Artikel widmet und geht auf den Stand der Forschung ein. Im Methodenteil wird die Sammlung der Daten, das Experiment oder das Modell beschrieben. Die Resultatesektion präsentiert die Daten. Die Schlussfolgerung enthält die Interpretation der Autoren. Je nach Absicht reicht es, das Abstract und die Schlussfolgerung zu lesen. Beachten Sie aber, dass die selben Fakten von unterschiedlichen Personen anders interpretiert werden können. Wenn Sie sich Ihre eigene Meinung bilden wollen, müssen Sie sich durch den gesamten Artikel vorarbeiten! Falls Sie sich die Zeit nehmen, die Daten zu verstehen, dann versuchen Sie, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, bevor Sie jene des Autors lesen (machen Sie sich jedoch darauf gefasst, dass Ihnen anfänglich Fehler unterlaufen können).
  • Mitschreiben, Mut bewahren: Machen Sie sich Notizen, schlagen Sie unbekannte Worte nach (dafür werden Sie anfänglich vermutlich länger benötigen, als für den Artikel selbst).
  • Grundlage schaffen: Notieren Sie sich auch Artikel, auf die verwiesen wird, die Sie später möglicherweise ebenfalls überfliegen oder lesen möchten. Jeder Wissenschaftler baut auf den Leistungen anderer auf. Wer nicht vom Fach ist, muss eventuell ältere Grundsatzartikel lesen, um einen Einstieg zu finden. Beachten Sie auch, dass oft zum selben Thema mehrere ähnliche Experimente durchgeführt werden. Was, wenn es sich beim vorliegenden Artikel um die einzige von zehn existierenden Studien handelt, die etwa die Wirkung eines Medikaments bestätigen kann? Machen Sie sich gegebenenfalls auf die Suche nach Übersichtsartikeln („review articles“) zum Thema. Solche Metastudien fassen systematisch alle bisher vorhandenen Daten zusammen.
  • Ein bisschen Statistik: Wenige Felder der Wissenschaft kommen ohne Statistik aus. Falls Sie davon (noch) gar keine Ahnung haben, dann sollten Sie sich mit einigen Grundbegriffen wie „signifikant“ und „Konfidenzintervall“ vertraut machen, denn diese Konzepte können Resultate, die eigentlich ziemlich klar aussehen, als reine Fata Morganas entlarven. Achten Sie auch immer auf die Stichprobenzahl!
  • Zweitmeinungen einholen: Über Google Scholar können Sie gezielt nach weiteren Artikeln suchen, welche den Text, den Sie nun durchgearbeitet haben, zitieren. Vielleicht ist es für Sie von Interesse, welche Kritikpunkte andere Forscher äußern oder wie diese zum Paper stehen.

Der wichtigste Schlüssel dazu, sich ein aktuelles Forschungsgebiet zu erschließen und zu lernen, Resultate selbständig zu interpretieren und kritisch zu würdigen, versteckt sich in Punkt 4: Mut bewahren! Anfänglich werden Sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, Worte nicht kennen und Datentabellen verwirrend finden. Wer nicht aufgibt merkt aber, dass es nach der anfänglichen Hürde schnell einfacher wird. Sie eröffnen sich eine ganz neue Welt von faszinierenden Informationen!